Offener Brief

Offener Brief #3
(13.04.2023)

Sehr geehrte Frau Grosse,
sehr geehrter Herr Haase,
sehr geehrte Fraktionsvorsitzenden der SPD, FDP und GRÜNE,

liebe Kinobesucher*innen der Stadt Mainz,

Die Bau- und Kulturdezernentin der Stadt Mainz, Marianne Grosse (SPD), durfte mich bereits in vielen, teils kräftezehrenden, Gesprächen persönlich kennenlernen, doch die Meisten von Ihnen kennen mein Gesicht vermutlich aus dem CAPITOL&PALATIN. Ich arbeite seit 2015 in den beiden Mainzer Programmkinos, zunächst neben dem Studium, schließlich seit 2018 festangestellt dicht an der Seite der beiden Betreiber Jochen Seehuber und Eduard Zeiler. Die beiden Kinos sind seit beinahe 8 Jahren der Nabel meiner Welt, beruflich und privat.

Ich muss wohl nicht darauf eingehen, wie tief mich das baldige Ende trifft, bis zum 28. Oktober ist es nicht mehr lang.

Nun melden sich verschiedene Stimmen, ganz voran die der Bau- und Kulturdezernentin, jedoch auch die unseres neuen Oberbürgermeisters Nino Haase (parteilos) und die Stimmen der Fraktionsvorsitzenden unserer Ampelkoalition Sylvia Köbler-Gross (GRÜNE), Jana Schmöller (SPD) und David Dietz (FDP). Jede*r von Ihnen zeigt sich überrascht und bestürzt über die plötzliche und angeblich ohne Angaben von Gründen beschlossene Schließung meiner beiden Vorgesetzten. Doch verfolgt man die Stellungnahmen, gibt es vermeintlich keinen Grund des Bedauerns, denn die Stadt beweist großen Tatendrang und rettet mit großem Elan die beiden letzten Programmkinos, während die beiden Betreiber dies anscheinend nicht länger wollten.

So beobachte ich jetzt zum zweiten Mal, wie meine beiden Vorgesetzten und ich uns an die geforderte Verschwiegenheitserklärung unserer gemeinsamen Gespräche mit Frau Grosse hielten, während sie gegenüber der Presse und ihren politischen Kolleg*innen ein Bild vermittelt, welches sich weder mit meiner Wahrnehmung deckt, noch mit den Protokollen, die ich während der letzten gemeinsamen und nach Lösungen suchenden Gesprächen schreiben durfte. Im Verlauf dieser Gespräche habe ich nun sehr deutlich erlebt, wie nicht zugehört wurde. Denn meine Vorgesetzten haben Frau Grosse bereits im November sehr genau erklärt, warum sie noch vor dem angekündigten Abriss Anfang 2024 schließen müssen. Es ist eine existenzielle Frage: Niemand mit klarem Verstand verlängert Versicherungs- und Wartungsverträge in sechsstelliger Höhe und Laufzeiten, die über die Zeit des Abrisses des Gebäudes gehen, ohne die Perspektive, anfallende Investitions- und Überbrückungskosten für den Zeitraum der Bauzeit wieder erwirtschaften zu können, weil man das neue Kino vielleicht nie betreiben darf. Wer geht freiwillig in einen möglichen Ruin? Denn bisher gibt es keine Ausschreibung mit Bedingungen, auf die man sich hätte bewerben dürfen. Und so konnten meine Vorgesetzten die für den Kinobetrieb essenziellen Verträge nicht verlängern und müssen folgerichtig Ende Oktober schließen.

So darf ich mich mehr als wundern, wie nun zwei Menschen öffentlich an den Pranger gestellt werden und man sich erzählt, sie würden aus freien Stücken gehen, wo sie alles darangesetzt haben, die beiden Kinos zu retten, obwohl ihnen wissentlich jeglicher Spielraum durch die immer noch fehlende Ausschreibung verwehrt blieb.

Mit einem Bein im Kino, einem zweiten Bein in der Initiative Mainz für Kino und einem Arm Richtung Politik und Kulturdezernat rudernd, fiel es mir im letzten halben Jahr oft sehr

schwer alle Körperteile beisammenzuhalten und nicht über die verschiedenen Interessenkonflikte zu stolpern. Zu gern hätte ich in der Initiative mein Verschwiegenheitsversprechen an Frau Grosse gebrochen und geplaudert, wenn sie wieder einmal öffentlich erklärt hat, alle Probleme seien beseitigt. Zu gern wäre ich am 17. Januar im Kulturausschuss, als sich beinahe alle Anwesenden vor Glück über den Beschluss zur Rettung der Mainzer Kinostandorte in die Arme fielen, aufgestanden und hätte auf die zahlreichen Probleme hingewiesen, welche Frau Grosse anscheinend nicht für erwähnenswert hielt. Es war hart danach von verschiedenen Politiker*innen, die mit Sicherheit mit den besten Absichten auf mich zugekommen sind, gefragt zu werden, ob ich zufrieden bin.

So möchte ich die Frage an dieser Stelle endlich mit aller Deutlichkeit beantworten: Nein, ich bin nicht zufrieden, ich bin hochgradig unzufrieden.

In Vergangenheit, als noch die kleine Hoffnung auf Rettung bestand, durfte ich die Frage nicht beantworten, weil es erfordert hätte, meine Unzufriedenheit zu erklären. Doch das durfte ich nicht, da Frau Grosse die Gespräche mit uns unter strikter Verschwiegenheit geführt hat. Also wie äußert man sich, wenn man nicht erklären darf, wieso? Wie kann man einer Kulturdezernentin widersprechen, wenn man nicht sprechen darf und Angst hat, sich bei der kleinsten Spur von Auflehnung die letzte Hoffnung auf eine Lösung zu verbauen? Ganz nach dem Motto: Wer zu laut ist und zu viel will, bekommt am Ende nichts. Meinem Verständnis nach entspricht diese Vorgehensweise nicht der von Frau Grosse öffentlich versprochenen Transparenz.

Das entscheidende Problem ist, dass dort, wo nicht gesprochen werden darf, keine tragfähigen Lösungen gefunden werden können. Wenn es dann am Ende nicht klappt, kann man wie jetzt sagen, nichts von den Problemen geahnt zu haben, und dennoch das Bestmögliche möglich gemacht zu haben.

Sollte es in einigen Jahren wieder ein Programmkino in Mainz geben, dann wäre dies den vielen Menschen zu verdanken, die sich ehrenamtlich eingesetzt haben das CAPITOL&PALATIN zu retten. Allen voran meinen beiden Vorgesetzten, die bis zum Schluss gekämpft haben und uns 14 Jahre lang eine Programmvielfalt boten, wie sie in Deutschland nur selten zu finden ist. Auch wäre es der Initiative Mainz für Kino, welche vor zweieinhalb Jahren von Jan Peschel gegründet wurde, zu verdanken und natürlich ganz besonders jeder einzelnen Person, die noch immer nicht nachgibt. Denn gerettet ist noch lange nichts. Mit viel Glück kann noch immer etwas Schönes entstehen, die Möglichkeiten sind da, und ich wünsche mir sehr, dass dies gelingt, auch wenn wir nicht mehr Teil davon sein können.

Frau Grosse, es erstaunt mich sehr, dass Sie sich an die Inhalte meiner Protokolle, deren Sie ausdrücklich zugestimmt haben, nicht erinnern können. Bei allen Unterschiedlichkeiten denke ich doch, dass Sie ihre Position aufgrund ihrer Kompetenzen bekleiden und so muss ich mich fragen, was Ihre Motive sein könnten, wissentlich falsche Nachrichten in der Presse zu verbreiten. Was würden Sie in meinem Fall denken?

Ich bin traurig, wütend und betroffen, und es scheint so zu wirken, als ob ich nun aufgebe. Aber nein. Ich bleibe auch weiterhin in der Initiative Mainz für Kino und entsprechend werden wir uns zwar in einem etwas anderem, aber nahem Kontext auch künftig wiedersehen und dann erwarte ich, dass wir unsere persönlichen Befindlichkeiten begraben und fair und professionell miteinander umgehen.

Und so möchte ich am Ende viel Glück wünschen:
Viel Glück, Frau Grosse, dass Ihnen die Märchen und zauberhaften Luftschlösser nicht auf die Füße fallen und dass sich tatsächlich Betreiber*innen finden werden, die ein ebenso liebevolles Gespür für das Mainzer Publikum und ein vielfältiges Programm aufweisen wie meine Vorgesetzten. Und viel Glück, dass Sie Recht behalten und es genügt, die reichste Stadt Deutschlands geworden zu sein und sich alles kaufen zu können, was man will – selbst, um mich Ihren Worten zu bedienen, ein Kino mit Strahlkraft, weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Und viel Glück an die Bewohner*innen der Stadt Mainz, dass die verlockenden Versprechen von Frau Grosse eingehalten werden und am Ende nicht doch „Andere“ am Versagen die Schuld tragen. Dass das FILMZ – Festival des deutschen Kinos, das CAPITOL und das PALATIN wirklich gerettet sind.
Viel Glück an die anderen Kulturschaffenden in Mainz, die sich Tag für Tag abmühen, ihren Raum nicht genauso zu verlieren, oder neuen Raum suchen müssen, die ebenso immer wieder in schweren Verhandlungen und Abhängigkeiten zum Kulturdezernat stehen und das alles nur, weil ihnen die Kultur wirklich am Herzen liegt. Ich wünsche Mainz, der potenziellen Kulturhauptstadt Europas, dass das bisschen schwer erkämpfte Kulturangebot, das noch übrig ist, nicht ebenfalls nach und nach verschwindet.
Viel Glück Mainz, viel Glück und alles Gute.

Ich wünsche mir sehr, dass alles passiert wie von Frau Grosse versprochen, ich wünsche mir sehr, dass unsere Bemühungen der letzten Jahre trotz der Schließung Ende Oktober nicht umsonst gewesen sind und ich hoffe inständig, dass die Bürger*innen von Mainz erkennen können, dass das Narrativ der Presse von einer perfekten kulturinteressierten Stadt und von zwei beleidigten, unwilligen Kinobetreibern, welche in harten Zeiten einfach aufgeben, nicht der Wahrheit entspricht.

Dies war ein kurzer Ausflug in meine Trauer und meine Enttäuschung.
Ich verbeuge mich tief vor der engagierten Arbeit von Jochen Seehuber und Eduard Zeiler und bedanke mich, für die wahnsinnig schöne Zeit, die ich durch sie erleben durfte.
Ohne sie hätte die Landeshauptstadt Mainz längst keine Programmkinos mehr, die man bald vermissen könnte und es hätte bereits 2009 sehr leise ausgesehen für die Lichtspielhäuser der stolzen Medienstadt.

Für unsere treuen Kinobesucher*innen und (Stand jetzt ) 28.724 Unterstützer*innen: Wir sehen uns noch bis Oktober im Kino!
Haltet die Ohren steif und feiert das CAPITOL&PALATIN, solange es geht.

Kira-Naema Lörwald
Mainz, den 13.April 2023

Link zu der Petition: Capitol & Palatin erhalten

118 Antworten auf „Offener Brief“

Ich wohne jetzt nicht mehr in Mainz, aber an die Programmkinos habe ich schöne Erinnerungen. Es wäre recht schade, wenn sie nicht erhalten bleiben.

Ich schließe mich allem Gesagten an. Die Mainzer Programmkinos müssen erhalten bleiben. Es wäre ein herber Schlag für das kulturelle Leben in Mainz und ein unfassbar schmerzhafter Verlust für alle Kinoliebhaber*innen der Stadt, sollten Capitol&Palatin tatsächlich geschlossen werden. Hier muss ein gemeinsamer Weg gefunden werden.

Kultur prägt das Bild einer Stadt und da gehören auch die besonderen Kinos dazu. Ich habe selbst viele schöne Abende in den Kinos verbracht und freue mich darauf, das wieder regelmäßig tun zu können, wenn Corona dem nicht mehr im Weg steht. Ich forderde ebenso, dass die Kinos erhalten bleiben!

Ohne Capitol und Palatin wird Mainz für viele Menschen nicht mehr das seien können was es bisher war. Gerade in Zeiten von Corona, in denen man sowieso schon Zuhause gefangen ist, ist die Vorstellung und die Hoffnung auf einen „normalen“ Alltag besonders wichtig. Diese zwei Kulturstätten dürfen deshalb nicht verloren gehen! Kino ist ein genauso notwendiges Kulturgut wie Theater und niemand würde darüber nachdenken das Mainzer Staatstheater zu schließen.

Capitol und Palatin sind nicht nur für Mainzer:innen wichtig. Ich reise regelmäßig aus der Region an, weil bei mir zu Hause das Angebot nicht so gut ist und ich die gemütliche Atmosphäre dieser Kinos sehr mag. Mainz ist wirklich bekannt für seine guten Programmkinos. Man kann wirklich von einer „Mainzer Kinokultur“ sprechen. Ich wünsche mit für Mainz und die Region, dass sie erhalten bleibt!

Was für ein Verlust der Mainzer Stadtkultur, gäbe es diese beiden Programmkinos nicht mehr! Auch wenn in Wiesbaden beheimatet, so war ich für viele Kinobesuche überm Rhein und hab die Mainzer um ihr Palatin/Capitol immer beneidet. Ich hoffe, es gibt ein Happy End!!

Capitol & Palatin are one of the very few options (if not the only one) in the region to watch movies in OV and also not mainstream films. It would be a great loss for the cultural scene and the international community. For some of us who don’t understand German yet, it is very nice to have a choice in other languages. Let alone talking about OV/OmU quality, etc.
As a suggestion, I would as well spread the word in other languages than German; current and potential customers must know about the situation.
I wish you the best.

Das CAPITOL war neben dem BROADWAY mein erstes Kino in Mainz – schon damals einzigartig durch seine langen Filmnächte – ein Jammer, das Sterben einer vielfältigen Kulturlandschaft zu erleben, abgelöst durch eine Blockbuster-Einheitsmasse … neben der immer gleichen Schuhhandels- und Optikerkettenmonotonie

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